„EU wurde für US-Konzerne gegründet“ – mit Dr. Werner Rügemer

17. Mai 20242 Kommentare

In Kürze dürfen wir ein EU-Parlament wählen, das zwar wenig zu sagen hat, dafür aber fürstlich entschädigt wird. Und vor wenigen Wochen feierte die EU groß das 20-jährige Jubiläum der EU-Osterweiterung. Aber wie souverän ist die Europäische Gemeinschaft wirklich? „Die EU ist eine Erfindung der USA“, sagt der Philosoph und Autor Dr. Werner Rügemer. Schon vor Ende des 2. Weltkriegs entstand der Plan eines gemeinsamen Binnenmarktes. Vor allem für die Profite der US-Industrie. Und heute? Heute hängt die EU immer noch am Rockzipfel von USA und NATO. Jedes osteuropäische Land, das vor 20 Jahren in die EU eintrat, musste vorher in die NATO. Demokratische Strukturen? Pustekuchen…

___________

Ich würde mich freuen, wenn ihr meine unabhängige journalistische Arbeit unterstützen würdet, damit ich auch in Zukunft weitermachen kann. Vielen Dank!

Ich möchte mich auch ganz herzlich bei allen bedanken, die mich bereits unterstützen.

Milena Preradovic

Name: Milena Preradovic
IBAN: AT40 2070 2000 2509 6694
BIC: SPFNAT21XXX

oder paypal.me/punktpreradovic

___________​

Interview mit Dr. Werner Rügemer (deutsch)

Milena Preradovic: Ich war immer ein Freund des europäischen Gedankens und deshalb grundsätzlich auch der EU als Garant für Frieden und Wohlstand. Und ich gestehe: Das war wohl eine ziemlich naive Vorstellung, die mein Gast wahrscheinlich gleich weiter zertrümmern wird – kurz vor der EU-Wahl, bei der wir ein Parlament wählen, das zwar wenig zu sagen hat, dafür aber fürstlich entschädigt wird. Schauen wir uns mal genauer an, wie souverän die EU eigentlich ist. Ob das 20-jährige Jubiläum der EU-Osterweiterung kürzlich wirklich ein Grund zum Feiern war? Und vor allem: Wer bestimmt – und wer profitiert? Kleiner Tipp: Alle acht osteuropäischen Staaten, die 2004 der EU beitraten, mussten vorher in die NATO. Jetzt bei Punkt Preradovic. Hallo Dr. Werner Rügemer. Schön, Sie wiederzusehen.

Dr. Werner Rügemer: Ja, mir geht es auch so. Vielen Dank.

Milena Preradovic: Ich stelle Sie kurz vor. Sie sind Publizist, interventionistischer Philosoph, Buchautor, Referent, Berater und Stadtführer. Sie haben als Autor für den WDR Radio- und TV-Features erstellt. Sie schreiben für viele Publikationen, darunter die NachDenkSeiten, und das vorwiegend zu den Schwerpunkten internationales Kapital, Arbeitsverhältnisse, Privatisierungen und Unternehmenskriminalität. Das sind auch die Themen Ihrer Bücher.

Kurz nach den Feiern zur EU-Osterweiterung und kurz vor der Europawahl schauen wir uns mal die EU an – also politisch und wirtschaftlich – und auch, ob sie das Leben der Menschen wirklich verbessert hat. Schon in Ihrem Buch Imperium EU: Arbeitsunrecht, Krise, neue Gegenwehr haben Sie sich akribisch mit der Europäischen Gemeinschaft und ihren Auswirkungen beschäftigt. Gerade hat die EU 20 Jahre Osterweiterung gefeiert. Damals, 2004, sind zehn Staaten beigetreten. Allerdings traten alle osteuropäischen Staaten – das waren acht – schon vorher in die NATO ein. Was schließen Sie daraus?

Dr. Werner Rügemer: Das hat eine Vorgeschichte, auf die wir auch noch kommen können. Die USA mit der von ihnen geführten NATO haben immer Wert darauf gelegt, dass vor allem die militärische Präsenz der USA – also über die NATO – im Europa nach dem Zweiten Weltkrieg Priorität hat. Der wichtigste Feind nach dem Zweiten Weltkrieg war die Sowjetunion. Aber auch, als diese nach dem Zusammenbruch des Sozialismus kapitalistisch wurde, war Russland zunächst nicht ganz klar einzuordnen, entwickelte sich dann aber weiter zum großen Feind für die USA und für die NATO.

Deswegen ging es mit der NATO-Osterweiterung weiter. Sie war immer der Osterweiterung der Europäischen Union voraus. Diese militärische Priorität über die Europäische Union ist, glaube ich, den allermeisten EU-Bürgern nicht so klar. Sie wissen, na ja, wir sind auch irgendwie in der NATO. Aber dass die USA durchgesetzt haben – ohne dass es von der EU thematisiert oder kritisiert worden wäre –, dass zuerst der NATO-Beitritt erfolgen muss und dann erst über die EU gesprochen wird: Das wurde alles hinter den Kulissen verhandelt.

Die wichtigsten Staaten Osteuropas, wie Polen oder Ungarn, hatten einen Vorlauf von fünf Jahren. Erst NATO-Beitritt – und fünf Jahre später, nachdem alles hinter den Kulissen ausgehandelt war, durften diese Staaten in die EU eintreten.

Milena Preradovic: Da fragt man sich natürlich: Wie souverän und selbstbestimmt ist die EU eigentlich bei der Aufnahme neuer Mitglieder?

Dr. Werner Rügemer: Diese Verbindung zwischen militärischer Priorität und der nachgeordneten wirtschaftlichen Einbindung der Europäischen Union nach Vorgaben aus den USA hat eine lange Vorgeschichte, die mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt.

Milena Preradovic: Kommen wir auch noch hin?

Dr. Werner Rügemer: Ja. Was wäre dann die Anschlussfrage?

Milena Preradovic: Die Anschlussfrage ist, dass von allen EU-Staaten ja eigentlich nur vier – also Österreich, Zypern, Irland und Malta – keine NATO-Mitglieder sind. Wie neutral sind die?

Dr. Werner Rügemer: Die NATO hat seit den 1990er-Jahren sogenannte Softformate entwickelt. Das heißt, auch mit neutralen Staaten – etwa mit der Schweiz, dem vielleicht bekanntesten neutralen Staat – gibt es Formen der Partnerschaft, Zusammenarbeit oder Allianz, ohne dass diese Staaten formell der NATO beitreten müssen.

Das hatte zum Beispiel zur Folge, dass diese neutralen Staaten – etwa Österreich oder auch die Schweiz – in bestimmter Form am Krieg in Afghanistan beteiligt waren. Man muss ja nicht unbedingt mit fronttauglichen Soldaten teilnehmen. Es gibt viele Arten von Zulieferungen und Dienstleistungen, die für eine langjährige Kriegsführung wie in Afghanistan ebenso wichtig sind.

Da waren auch Staaten beteiligt, die offiziell nicht NATO-Mitglied sind – übrigens auch die Ukraine. Die ist ja bis heute nicht in der NATO, aber bereits in den 1990er-Jahren begann eine militärische Zusammenarbeit. Man kann das im Buch des US-Präsidentenberaters Zbigniew Brzeziński nachlesen. Er schrieb 1997 in Die einzige Weltmacht, dass es bereits damals militärische Kooperation mit der Ukraine gab.

Milena Preradovic: Aha. Das ist also alles NATO light. Es ist alles sehr verwoben. Und es gibt ja auch seltsame Auswüchse bei dem Bestreben, Länder in die EU aufzunehmen. Der Kosovo ist so ein Fall. Der gehörte ursprünglich zu Serbien, wurde dann eindeutig völkerrechtswidrig abgetrennt, ist nicht einmal von allen EU-Staaten anerkannt, aber auf Betreiben der EU-Kommission bereits EU-Anwärter. Welche Rolle spielt der Kosovo?

Dr. Werner Rügemer: Ja, schon EU-Anwärter – aber lange bevor die EU-Kommission den Kosovo als Anwärter bezeichnet hat, haben die USA nach der Bombardierung Serbiens – also Belgrads – und der darauf folgenden Abtrennung des Kosovo dort einen ihrer größten Militärstützpunkte errichtet. Camp Bondsteel ist de facto eine amerikanische Militärstadt mitten im Kosovo – hoch gesichert, mit mehreren Tausend Soldaten, Supermärkten, Kirchen, Kinos, allem drum und dran.

Der Kosovo ist militärisch also längst fest in die geopolitische Strategie der USA eingebunden – ohne dass eine konkrete Aussicht auf EU-Mitgliedschaft bestünde.

Milena Preradovic: Jetzt kommen wir mal zur Entstehung der EU. Sie schreiben, schon 1943, als der Sieg der Alliierten über Nazideutschland absehbar war, konzipierte der Banker Jean Monnet im Auftrag Roosevelts – also der USA – für die Nachkriegszeit die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Ist die EU oder die EWG damals am Ende eine Erfindung der USA?

Dr. Werner Rügemer: Ja, das kann man so sagen. Die USA hatten schon vor dem Krieg einen Plan, wie sie in Europa wirtschaftlich eindringen und den europäischen Markt systematischer durchdringen wollten – noch stärker, als sie das nach dem Ersten Weltkrieg ansatzweise getan hatten. Jean Monnet war derjenige, der im Auftrag der US-Regierung unter Roosevelt ein entsprechendes Konzept entwickelte: Wie soll das Nachkriegseuropa im Interesse der USA aussehen?

Milena Preradovic: Kommen wir mal wieder in die Gegenwart. Die EU rühmt sich ja, dass beigetretene Staaten wirtschaftlich prosperieren und enorm von der EU profitieren. Ist das so?

Dr. Werner Rügemer: Nein, das ist nicht so. Die osteuropäischen Staaten wurden und werden nicht als ganze Volkswirtschaften gefördert, sondern selektiv – durch Unternehmen, die sich den jeweils günstigsten Standort aussuchen. Ist Ungarn günstiger? Oder Kroatien? Oder Rumänien?

Ein bekannter Fall: Zulieferer westlicher Autokonzerne – etwa alle deutschen Konzerne, aber auch Ford, General Motors, Toyota oder Hyundai – suchen sich Standorte, wo die Löhne niedrig, aber die Fachkräfte qualifiziert sind. Dann gibt es Subventionen von der EU und zusätzlich von den jeweiligen nationalen Regierungen.

Milena Preradovic: Hört sich doch gut an!

Dr. Werner Rügemer: Ja, aber da gibt es Sonderwirtschaftszonen, wo die Unternehmen zehn Jahre lang keine Steuern zahlen müssen. Sie bekommen kostenlos Straßen, Wasser-, Strom- und Gasanschlüsse. Diese gezielte Ansiedlung westlicher Unternehmen – vor allem aus den sechs Gründungsstaaten der EU – führt aber auch dazu, dass große Teile der heimischen Bevölkerung arbeitslos oder verarmt wurden.

Im Schnitt haben 15 bis 30 Prozent der Bevölkerung in diesen osteuropäischen Ländern mittlerweile den Status von Wanderarbeitern angenommen.

Milena Preradovic: Das heißt, davon profitieren dann wieder die reichen oder reicheren europäischen Staaten?

Dr. Werner Rügemer: Ja. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es Hunderttausende von Wanderarbeitern – aus Polen, Kroatien, auf dem Bau oder als häusliche Pflegekräfte. Das sind viele Hunderttausend osteuropäische Frauen, auch in der Gastronomie oder in der Prostitution. Insgesamt sind es Millionen, die zeitweise als Wanderarbeiter in den reicheren westeuropäischen Staaten tätig sind – bekanntester Fall: die Landwirtschaft – oder eben auch dauerhaft.

Und das betrifft nicht nur körperlich anstrengende oder gering entlohnte Arbeiten. Ein bekanntes Beispiel sind Ärzte aus Polen oder Kroatien, die dort etwa 1.000 Euro verdienen. Wenn sie nach Deutschland oder Frankreich gehen, verdienen sie das Dreifache.

Milena Preradovic: Also man holt sich im Grunde die Fachkräfte oder Arbeiter aus den eh schon ärmeren Ländern – und lässt diese Länder dann ohne sie zurück.

Dr. Werner Rügemer: Ja. Dabei werden auch Werte verletzt, die etwa von christlichen Parteien als zentral betrachtet werden – zum Beispiel die Bedeutung der Familie. Es entstehen Familien auf Zeit, die monatelang oder jahrelang voneinander getrennt sind.

Viele Frauen, die in Deutschland als Pflegekräfte arbeiten, sind ein halbes Jahr hier, kehren dann für kurze Zeit zu ihrer Familie zurück, weil die Kinder betreut werden müssen, und kommen dann erneut für ein halbes Jahr. Dieses Modell zerstört familiäre Strukturen.

Milena Preradovic: Das hat etwas Koloniales. Wenn man sagen kann, dass der Beitritt dieser Staaten in erster Linie dem Profit des Großkapitals dient – den großen Firmen. Die Bewohner dienen lediglich als billige Arbeitskräfte, entweder vor Ort in Unternehmen, die sich dort ansiedeln, oder eben in den reicheren Ländern.

Sie schreiben: „Nie war das Großkapital so unsichtbar wie heute.“ Wie meinen Sie das? Wir sehen es doch.

Dr. Werner Rügemer: Wir sehen die großen Konzerne – zum Beispiel Amazon. Amazon ist in allen EU-Staaten präsent, mit Logistikzentren und als gewerkschaftsfeindliches Unternehmen mit hohem Anteil an Leiharbeitern bekannt.

Auch die Chefs wie Jeff Bezos, Elon Musk oder Mark Zuckerberg sind bekannt. Aber was kaum jemand weiß: Wem gehören diese Konzerne eigentlich? Wer sind die Mehrheitsaktionäre von Amazon, Apple, Microsoft, Tesla?

Das sind nicht mehr nur Einzelpersonen, sondern die neuen Kapitalorganisatoren, die sich erst in den letzten 30 Jahren herausgebildet haben – in Europa erst in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren präsent. Namen wie BlackRock, Vanguard, State Street.

Die deutsche Öffentlichkeit hat vielleicht von BlackRock gehört. Aber von den nächsten zehn großen Investoren – State Street, Fidelity, Wellington, Vanguard – hat der normale Deutsche noch nie etwas gehört.

Milena Preradovic: Da empfehle ich ein Interview, das ich mit Ihnen schon einmal zum Thema BlackRock gemacht habe – das ist auf meinem Kanal zu sehen.

Dr. Werner Rügemer: Vielleicht eine aktuelle Ergänzung für deutsche Zuhörer: Der normale Deutsche denkt, der größte Rüstungskonzern in Deutschland heißt Rheinmetall. Das stimmt auch – aber nur, weil amerikanische Großinvestoren diesen Konzern entdeckt haben. Er liefert inzwischen nicht nur in die Ukraine, sondern weltweit.

Der größte Aktionär von Rheinmetall ist heute BlackRock. Und unter den zehn größten Aktionären sind neun amerikanische Investoren. Rheinmetall trägt also einen deutschen Namen – aber die strategischen Entscheidungen fallen in den USA. Und die Gewinne der größten Aktionäre gehen ebenfalls in die USA.

Milena Preradovic: Und BlackRock hat auch relativ viel Einfluss in der EU, oder?

Dr. Werner Rügemer: Ja, klar.

Milena Preradovic: Also auch in der Kommission, in den Institutionen?

Dr. Werner Rügemer: BlackRock hat ein großes Lobbybüro in Brüssel und privilegierten Zugang zu Kommissaren und Parlamentariern. Die sitzen mit am Tisch, wenn Arbeitsgruppen in der EU neue Richtlinien oder Regulierungen vorbereiten.

BlackRock ist Chefberater der Europäischen Zentralbank. Und es gibt einen Vertrag, den Kommissionspräsidentin von der Leyen mit BlackRock abgeschlossen hat: BlackRock ist Berater für den „European Green Deal“. Denn – ironisch gesagt – Amazon weiß ja am besten, wie man die Umwelt schützt.

Milena Preradovic: Mhm. Ja, klar. Wie demokratisch ist die EU am Ende? Ich meine, wir wählen ein Parlament, das relativ wenig zu sagen hat. Es wird jetzt groß verkündet: „EU-Wahl! Alle Bürger sind aufgerufen!“ Aber ist das nicht am Ende doch eine Fassadendemokratie – eine Mogelpackung?

Dr. Werner Rügemer: Die klassische Funktion eines Parlaments ist, ein Initiativrecht zu haben – also Gesetze vorschlagen zu dürfen. Diese Funktion hat das Europäische Parlament nicht. Das ist schon ein wichtiger Hinweis: Das Europäische Parlament erfüllt keine klassische Demokratiefunktion.

Dazu kommt, was in der Praxis geschieht. Die Europäische Kommission ist – wie ich es ausdrücken würde – eine privilegierte Kapitalbürokratie. Die wirklich führenden Personen in der EU gehen aus keiner Wahl hervor. Die Kommissare werden von Regierungsvertretern ernannt, nicht gewählt. Sie sind extrem hoch bezahlt.

Die knapp 20.000 Beschäftigten der EU sind hochprivilegierte Beamte – privilegierter als deutsche Beamte. Sie sind beispielsweise von Strafverfolgung ausgenommen. Wenn die belgische Justiz feststellt, dass Beschäftigte der EU-Kommission gegen belgisches Recht verstoßen haben, beginnt ein jahrelanges Gerangel darum, ob sie überhaupt vor Gericht gestellt werden dürfen.

Milena Preradovic: Was wäre denn Ihre Lösung für ein Europa?

Dr. Werner Rügemer: Ich glaube, Europa muss sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht – für eine volkswirtschaftliche Entwicklung mit einem Wohlstand, der der Mehrheit der Bevölkerung zugutekommt – als auch im Hinblick auf die militärische Sicherheit neu gegründet werden.

Milena Preradovic: Weg mit dieser EU – neue EU her?

Dr. Werner Rügemer: Ja. Vor allem aber: Was wir ja gerade erläutert haben – diese Priorität nicht nur des Militärs im Allgemeinen, sondern eines von einem anderen Staat geführten Militärs, sprich der NATO – das widerspricht einer echten europäischen Sicherheitsarchitektur.

Für eine solche Sicherheitsstruktur müssten sich die Europäer – einschließlich ihrer Anrainer wie Russland, Kasachstan und weiterer Staaten auf dem Kontinent – untereinander verständigen. Und auch die Dominanz privater Investoren müsste eingeschränkt werden. Diese darf sich nicht ungehemmt entfalten.

Zum Beispiel: Wenn die Europäische Union Freihandelsverträge abschließt oder Subventionen in osteuropäischen Staaten vergibt, spielen Arbeitsrechte keine Rolle. Die EU vergibt Fördermittel für die Ansiedlung von Filialen oder Zulieferern westlicher Konzerne in Osteuropa – aber ohne jegliche Auflagen zur Einhaltung von Arbeitsrechten.

Milena Preradovic: Ja, aber Sie wissen schon: Wenn Sie sagen, „neue EU gründen, weg mit dieser“ – und auch noch „Einfluss der NATO muss weg“ – dann gelten Sie im heutigen Deutschland schon als rechts.

Dr. Werner Rügemer: Ja.

Milena Preradovic: Das war ein kleiner Scherz am Ende. Vielen Dank, Dr. Rügemer, für diese Einordnung in Sachen EU, NATO und Big Money. Danke, dass Sie da waren.

Dr. Werner Rügemer: Ja, gerne. Wie immer bei Ihnen.

Milena Preradovic: Tja, Leute – wer nur die offizielle Schönrednerei aus den Altmedien mitbekommt, der lebt gemütlicher in seiner Truman Show. Aber das ist dann auch das Gegenteil eines mündigen Bürgers – und der ist offenbar nicht mehr erwünscht.

Ich habe inzwischen den Eindruck, dass sich immer mehr Menschen Gedanken machen. Vielleicht, weil sie sich inzwischen existenziell bedroht fühlen. Vielleicht muss es noch schlechter werden, damit es wieder besser wird.

Ich wünsche euch eine gute Zeit. Bis bald – aufgeben gilt nicht.

Interview with Dr. Werner Rügemer (english)

Milena Preradovic: I have always been a supporter of the European idea and therefore also of the EU as a guarantor of peace and prosperity. And I admit: that was probably a rather naive idea, which my guest will probably shatter in a moment—just before the EU elections, in which we elect a parliament that has little say but is handsomely rewarded. Let’s take a closer look at how sovereign the EU really is. Was the recent 20th anniversary of the EU’s eastward expansion really a cause for celebration? And above all: Who decides – and who benefits? Here’s a hint: All eight Eastern European countries that joined the EU in 2004 had to join NATO first. Now at Punkt Preradovic. Hello, Dr. Werner Rügemer. It’s good to see you again.

Dr. Werner Rügemer: Yes, likewise. Thank you very much.

Milena Preradovic: Let me introduce you briefly. You are a publicist, interventionist philosopher, author, speaker, consultant, and city guide. You have written radio and TV features for WDR. You write for many publications, including NachDenkSeiten, mainly on the topics of international capital, labor relations, privatization, and corporate crime. These are also the topics of your books.

Shortly after the celebrations marking the EU’s eastward expansion and shortly before the European elections, let’s take a look at the EU—politically and economically—and also see whether it has really improved people’s lives. In your book Imperium EU: Arbeitsunrecht, Krise, neue Gegenwehr (Empire EU: Labor injustice, crisis, new resistance), you have already dealt meticulously with the European Community and its effects. The EU has just celebrated 20 years of eastward expansion. Back in 2004, ten countries joined. However, all of the Eastern European countries – eight of them – had already joined NATO beforehand. What conclusions do you draw from this?

Dr. Werner Rügemer: There is a history behind this, which we can come back to later. The US, with NATO under its leadership, has always attached great importance to ensuring that the military presence of the US – i.e., via NATO – in Europe was a priority after World War II. The most important enemy after World War II was the Soviet Union. But even when it became capitalist after the collapse of socialism, Russia was not initially easy to classify, but then developed into a major enemy of the US and NATO.

That is why NATO’s eastward expansion continued. It always preceded the eastward expansion of the European Union. I don’t think most EU citizens are very aware of this military priority over the European Union. They know that we are also part of NATO in some way. But the fact that the US pushed through – without this being discussed or criticized by the EU – that NATO membership must come first and only then can the EU be discussed: all this was negotiated behind the scenes.

The most important countries in Eastern Europe, such as Poland and Hungary, had a five-year lead time. First NATO membership – and five years later, after everything had been negotiated behind the scenes, these countries were allowed to join the EU.

Milena Preradovic: This naturally raises the question: How sovereign and self-determined is the EU when it comes to admitting new members?

Dr. Werner Rügemer: This connection between military priority and the subordinate economic integration of the European Union according to US guidelines has a long history, beginning with the end of World War II.

Milena Preradovic: Are we getting there?

Dr. Werner Rügemer: Yes. What would be the follow-up question?

Milena Preradovic: The follow-up question is that only four EU countries—Austria, Cyprus, Ireland, and Malta—are not NATO members. How neutral are they?

Dr. Werner Rügemer: Since the 1990s, NATO has developed so-called soft formats. This means that even with neutral states – such as Switzerland, perhaps the best-known neutral state – there are forms of partnership, cooperation, or alliance without these states having to formally join NATO.

This meant, for example, that these neutral countries – such as Austria and Switzerland – were involved in the war in Afghanistan in some form. You don’t necessarily have to participate with soldiers fit for frontline duty. There are many types of supplies and services that are just as important for long-term warfare such as in Afghanistan.

Countries that are not officially NATO members were also involved – including Ukraine, incidentally. It is still not in NATO, but military cooperation began in the 1990s. You can read about this in the book by US presidential advisor Zbigniew Brzeziński. In 1997, he wrote in The Grand Chessboard that military cooperation with Ukraine already existed at that time.

Milena Preradovic: I see. So it’s all NATO light. It’s all very intertwined. And there are also strange excesses in the desire to admit countries to the EU. Kosovo is one such case. It originally belonged to Serbia, was then separated in clear violation of international law, is not even recognized by all EU states, but is already a candidate for EU membership at the instigation of the EU Commission. What role does Kosovo play?

Dr. Werner Rügemer: Yes, already an EU candidate—but long before the EU Commission designated Kosovo as a candidate, the US established one of its largest military bases there after the bombing of Serbia—i.e., Belgrade—and the subsequent separation of Kosovo. Camp Bondsteel is effectively an American military town in the middle of Kosovo – highly secure, with several thousand soldiers, supermarkets, churches, cinemas, and all the trimmings.

Kosovo has therefore long been firmly integrated into the US’s geopolitical strategy – without any concrete prospect of EU membership.

Milena Preradovic: Let’s move on to the origins of the EU. You write that as early as 1943, when the Allied victory over Nazi Germany was foreseeable, the banker Jean Monnet, on behalf of Roosevelt – i.e. the US – conceived the European Economic Community for the post-war period. Was the EU or the EEC ultimately an invention of the US?

Dr. Werner Rügemer: Yes, you could say that. Even before the war, the US had a plan for how it wanted to penetrate Europe economically and systematically penetrate the European market—even more so than it had done to some extent after the First World War. Jean Monnet was the one who, on behalf of the US government under Roosevelt, developed a concept for how post-war Europe should look in the interests of the US.

Milena Preradovic: Let’s come back to the present. The EU prides itself on the fact that member states are economically prosperous and benefit enormously from the EU. Is that true?

Dr. Werner Rügemer: No, that’s not the case. The Eastern European countries were not and are not being promoted as entire economies, but selectively – by companies that choose the most favorable location for themselves. Is Hungary cheaper? Or Croatia? Or Romania?

A well-known case: suppliers to Western car companies—including all German companies, but also Ford, General Motors, Toyota, and Hyundai—are looking for locations where wages are low but skilled workers are available. Then there are subsidies from the EU and additional subsidies from the respective national governments.

Milena Preradovic: That sounds good!

Dr. Werner Rügemer: Yes, but there are special economic zones where companies don’t have to pay taxes for ten years. They get roads, water, electricity, and gas connections for free. However, this targeted settlement of Western companies – especially from the six founding states of the EU – also means that large sections of the local population have become unemployed or impoverished.

On average, 15 to 30 percent of the population in these Eastern European countries now have the status of migrant workers.

Milena Preradovic: So that means the rich or richer European countries benefit from this?

Dr. Werner Rügemer: Yes. In Germany, there are hundreds of thousands of migrant workers – from Poland and Croatia, working in construction or as domestic caregivers. That’s hundreds of thousands of Eastern European women, also in the restaurant industry or prostitution. In total, there are millions who work temporarily as migrant workers in the richer Western European countries—the best-known case being agriculture—or even permanently.

And this does not only apply to physically demanding or low-paid jobs. A well-known example is doctors from Poland or Croatia, who earn around 1,000 euros there. If they go to Germany or France, they earn three times as much.

Milena Preradovic: So basically, you take skilled workers or laborers from countries that are already poorer – and then leave those countries without them.

Dr. Werner Rügemer: Yes. This also violates values that Christian parties, for example, consider central – such as the importance of family. Temporary families are created that are separated from each other for months or years.

Many women who work as nurses in Germany are here for six months, then return to their families for a short time because their children need to be looked after, and then come back for another six months. This model destroys family structures.

Milena Preradovic: There is something colonial about it. If you can say that the accession of these countries primarily serves the profits of big business – the large companies. The inhabitants merely serve as cheap labor, either locally in companies that settle there or in the richer countries.

You write: “Big business has never been as invisible as it is today.” What do you mean by that? We can see it.

Dr. Werner Rügemer: We see the big corporations—Amazon, for example. Amazon is present in all EU countries, with logistics centers and a reputation as a union-busting company with a high proportion of temporary workers.

The bosses, such as Jeff Bezos, Elon Musk, and Mark Zuckerberg, are also well known. But what hardly anyone knows is who actually owns these corporations. Who are the majority shareholders of Amazon, Apple, Microsoft, and Tesla?

These are no longer just individuals, but the new capital organizers that have emerged only in the last 30 years—and in Europe only in the last ten to fifteen years. Names like BlackRock, Vanguard, State Street.

The German public may have heard of BlackRock. But the average German has never heard of the next ten largest investors—State Street, Fidelity, Wellington, Vanguard.

Milena Preradovic: I recommend an interview I did with you on the subject of BlackRock—you can watch it on my channel.

Dr. Werner Rügemer: Perhaps a current addition for German listeners: The average German thinks that the largest arms manufacturer in Germany is Rheinmetall. That’s true – but only because major American investors discovered this company. It now supplies not only Ukraine, but the whole world.

BlackRock is now Rheinmetall’s largest shareholder. And nine of the ten largest shareholders are American investors. So Rheinmetall has a German name – but the strategic decisions are made in the US. And the profits of the largest shareholders also go to the US.

Milena Preradovic: And BlackRock also has a relatively large amount of influence in the EU, right?

Dr. Werner Rügemer: Yes, of course.

Milena Preradovic: So also in the Commission, in the institutions?

Dr. Werner Rügemer: BlackRock has a large lobbying office in Brussels and privileged access to commissioners and parliamentarians. They sit at the table when working groups in the EU prepare new directives or regulations.

BlackRock is chief advisor to the European Central Bank. And there is a contract that Commission President von der Leyen has signed with BlackRock: BlackRock is an advisor for the “European Green Deal.” Because—ironically—Amazon knows best how to protect the environment.

Milena Preradovic: Mhm. Yes, of course. How democratic is the EU in the end? I mean, we elect a parliament that has relatively little say. Now it’s being announced with great fanfare: “EU elections! All citizens are called upon to vote!” But isn’t that just a facade of democracy in the end – a sham?

Dr. Werner Rügemer: The classic function of a parliament is to have the right of initiative—in other words, to be able to propose laws. The European Parliament does not have this function. That is an important point: the European Parliament does not fulfill a classic democratic function.

Added to this is what happens in practice. The European Commission is, as I would put it, a privileged capital bureaucracy. The real leaders in the EU are not elected. The commissioners are appointed by government representatives, not elected. They are extremely highly paid.

The EU’s nearly 20,000 employees are highly privileged civil servants – more privileged than German civil servants. For example, they are exempt from criminal prosecution. If the Belgian judiciary finds that employees of the EU Commission have violated Belgian law, a years-long battle begins over whether they can even be brought to trial.

Milena Preradovic: What would be your solution for Europe?

Dr. Werner Rügemer: I believe that Europe must be re-founded, both in economic terms—for economic development with prosperity that benefits the majority of the population—and in terms of military security.

Milena Preradovic: Away with this EU—bring on a new EU?

Dr. Werner Rügemer: Yes. But above all, what we have just explained—this priority not only of the military in general, but of a military led by another state, namely NATO—contradicts a genuine European security architecture.

For such a security structure, Europeans – including their neighbors such as Russia, Kazakhstan, and other states on the continent – would have to come to an agreement among themselves. And the dominance of private investors would also have to be restricted. It must not be allowed to develop unchecked.

For example, when the European Union concludes free trade agreements or grants subsidies to Eastern European countries, labor rights play no role.

The EU grants subsidies for the establishment of branches or suppliers of Western corporations in Eastern Europe – but without any requirements to comply with labor rights.

Milena Preradovic: Yes, but you know: if you say, “Let’s found a new EU, get rid of this one” – and also “NATO’s influence must go” – then you are already considered right-wing in today’s Germany.

Dr. Werner Rügemer: Yes.

Milena Preradovic: That was a little joke at the end. Thank you very much, Dr. Rügemer, for this assessment of the EU, NATO, and big money. Thank you for being here.

Dr. Werner Rügemer: Yes, my pleasure. As always with you.

Milena Preradovic: Well, folks – if you only hear the official spin from the old media, you’ll live more comfortably in your Truman Show. But that’s the opposite of being a responsible citizen – and that’s obviously no longer desirable.

I now have the impression that more and more people are thinking about these issues. Perhaps because they now feel existentially threatened. Maybe things have to get worse before they get better.

I wish you all the best. See you soon – don’t give up.

Beitrag teilen

2 Kommentare

  1. Anita

    was mich besonders freut ist die Tatsache, dass Herr R. (das Alter lasse ich mal weg) noch so fit ist. Ein toller Typ.

    Antworten
  2. Ehrengard Becken-Landwehrs

    Liebe Frau Preradovic,
    ja, es muß noch etwas schlechter werden, bevor sich etwas ändern wird und ja, die EU, die ja NICHT Europa ist, muß in der jetzigen Form auf jeden Fall zerschlagen werden. Hier noch eine kleine Korrektur: Nein, die VSA ist definitiv nicht der Erfinder der EG, sondern die stammt von einem Goudenhove-Kalergie, der bereits Anfang der 1920er Jahre von einer „Pan-Europa“ ‚träumte‘, wobei ich bei diesem Herrn, der ja zum gleichen Zeitpunkt schon eine „Zuwanderung von Schwarzafrikanern forderte, weil ihn die weiße Rasse störte“. Sie können sich jetzt eigene Gedanken dazu machen! Im übrigen war die VSA tatsächlich schon nach dem !. WK wirtschaftlich an Deutschland interessiert. Die sind an JEDEM Land interessiert, wo sie Profit für sich rausschlagen können!!!
    Die EU in der jetzigen Form ist eine einzige Katastrophe geworden, bei der die momentane Vorsitzende wahrscheinlich den größten Anteil hat. Sehen Sie sich bitte diesen Link an
    https://www.youtube.com/watch?v=-xNp86x6L8M,
    dann erkennen Sie,was ich mit meiner Aussage meine. Als die EG 1993 in EU umbenannt wurde und ich las, daß das auf Drängen der VSA geschah, war mir sofort klar, daß DAS nicht gut geht! Und so ist es leider auch gekommen. Sogar noch schlimmer, als ich vermutet habe! Wir brauchen wieder eine EG, die wieder auf den Boden zurück kehrt und nicht in die Belange der einzelnen Länder eingreift, denn das war nie ihre Aufgabe! Zumindest ist mir nichts davon bekannt. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, daß sie dazu bewogen wurden, jedoch nicht bekannt werden durfte.
    Danke für den Beitrag, den ich inhaltlich SEHR gut fand, aber leider etwas langatmig durch Ihren Gast gestaltet wurde. Aber vieles was er sagte, muß weiter verteilt werden, denn die meisten haben keine Ahnung davon. Wir im Westen sind auch zu sehr in eine Komfortzone gelenkt worden, die die meisten faul und träge hat werden lassen. Warten wir ab, ob die EU in der momentanen Form weiter Bestand hat. Wenn ja, dann kann ich nur gute Nacht sagen! Ich bin ein Befürworter für den Erhalt aller Europäischen Länder, die alle ihre Kulturen, ihre Selbständigkeit und Eigenarten bewahren sollen. Ich denke, daß niemand einen Einheitsmatsch braucht. außer den Deutschen, bei denen ich schon oft den Eindruck hatte und immer noch habe, daß sie ihr eigenes Land nicht mögen,Hoffen wir, daß sich da etwas in den Menschen ändert und alles ruhig bleibt!

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert