„Gesetze auf Zuruf und Gesetze, die schwammig und unklar formuliert sind, bedrohen immer mehr den Rechtsstaat“, sagt der Rechtswissenschaftler und ehemalige Richter Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert. Ein Beispiel dafür: der von der EU-Kommission entwickelte Digital Services Act, der unter anderem Desinformation und Hassrede bekämpfen will. Was das genau ist, gehe aus diesem Gesetz nicht hervor, sagt der Sprecher des Netzwerks kritischer Richter und Staatsanwälte, KRiStA. Und das öffne Missbrauch Tür und Tor. Genau wie Gesetze, die ohne große Diskussion einfach verabschiedet werden, zum Teil sogar heimlich. Eine Praxis, die unter Kanzlerin Merkel startete…
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Interview mit Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert (deutsch)
Milena Preradovic: Eine Demokratie erkennt man an ihrer Rechtsstaatlichkeit. Danach waren die vergangenen Jahre ein demokratisches Desaster. Notfallgesetze, illegale politische Entscheidungsgremien, Parlamente ausgehebelt, Grundrechte abgeschafft. Und das Schlimme: Keinerlei Aufarbeitung dieser Zeit, die ganz klar mehr totalitäre als demokratische Züge trug. Exbundesverfassungsgerichtschef Papier sagt jetzt besorgt: „der freiheitliche Rechtsstaat darf keinem noch so hehren Ziel geopfert werden.“ Aber warum schweigt die Justiz? Und wo führt das hin? Auch mein Gast sorgt sich und sagt Gesetze auf Zuruf bedrohen den Rechtsstaat. Genau wie der Trend, wichtige Gesetze schwammig und unklar zu formulieren. Was das für fatale Folgen haben kann jetzt in Punkt Preradovic. Hallo, Professor Dr. Thomas-Michael Seibert.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Guten Tag. Ich freue mich über die Einladung.
Milena Preradovic: Sehr gerne. Ich stell Sie kurz vor. Sie haben in Berlin und Mainz Jura und Philosophie studiert, waren von 1982 bis 2011 Richter, zuletzt Vorsitzender einer Straf- und Zivilkammer am Landgericht Frankfurt am Main. 1998 wurden Sie zum Honorarprofessor am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt ernannt und lehren dort Strafrecht und Rechtstheorie. Sie sind Autor zahlreicher Bücher und beschäftigen sich außerdem mit der juristischen Sprache. Und Sie sind Pressesprecher des Netzwerks Kritischer Richter und Staatsanwälte Krista, das sich für das Grundgesetz und eine freiheitlich demokratische Grundordnung einsetzt und die Corona Zeit aus rechtsstaatlicher Sicht mit großer Sorge beobachtet hat. So fangen wir an: Die EU Kommission hat kürzlich den Digital Services Act in Kraft gesetzt. Ein Gesetz, das den Markt im Internet und die sozialen Netzwerke regulieren, aber auch vor allem gegen Desinformation und Hassrede vorgehen soll. Sie haben sich das genauer angeschaut. Was ist Ihnen aufgefallen?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Da Sie auf die Rechtssprache eingegangen sind, muss ich sagen, wenn man einfach versucht, den Text zu lesen, fällt einem auf, dass das kein Gesetzes- und kein Rechtsakt mehr ist, so wie wir ihn kennen und wie man ihn in der juristischen Ausbildung herkömmlich gelernt hat. Also das fängt damit an, dass die Hälfte dieses Digital Services Act eine Art Präambel, eine juristische Abhandlung ist. Was man alles bezweckt und warum das notwendig ist, was bewirkt werden soll. Und dann Artikel-Folgen, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob das Vorschriften sind. Also man weiß nach Lektüre dieses Textes weniger als vorher, was erlaubt oder nicht erlaubt ist, sondern erfährt, es gibt Gatekeeper, es gibt Trusted Flaggers. Also übersetzt hieße das: im deutschen Behördentext lautet das lustig Torwächter. Es gibt die Kafka Geschichte, vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Daran hat man wohl nicht gedacht. Aber noch interessanter sind die Trusted Flaggers, vertrauenswürdige Hinweisgeber. Das ist ein Rechtsbegrifflichkeit, die ich nicht kenne und von der ich behaupte, die kennt eigentlich niemand. Wir können gespannt sein, was daraus wird. Im Moment kann man es noch nicht sagen. Es muss befürchtet werden, dass sogenannte Faktenchecker und regierungsnahe Meinungskontrolleure in diese Position rücken.
Milena Preradovic: Das wäre dann eine von der EU Kommission offiziell abgesegnete Zensur, wenn man bedenkt, dass die Faktenchecker ja nie die Fakten der Regierung checken oder irgendwelche Fakten checken, die dem Original, also dem offiziellen Narrativ entsprechen, sondern immer nur die Kritiker angreifen. Also dann hätten wir eine Zensur offiziell abgesegnet oder übertreibe ich da?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Das ist das Endprodukt dieses Services Act. Man muss fairerweise sagen, dass der Ansatzpunkt natürlich ein anderer ist. Das hat viele von uns und auch bei Gericht im letzten Jahrzehnt gestört und merkwürdig berührt. Ich habe mal geschrieben das Internet setzt den Anreiz zu allfälliger Beleidigungen.
Milena Preradovic: Kommen wir noch mal zurück zum Digital Services Act. Da stehen als Grund für Löschungen und Sperrungen in den sozialen Netzwerken tatsächlich so Sätze wie: „etwaige tatsächliche oder vorhersehbare, nachteilige Auswirkungen auf die Ausübung der Grundrechte“ oder „alle tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte“. Verstehen Sie, was da genau gemeint ist?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Nein.
Milena Preradovic: Ja, also das hört sich auch extrem schwammig an, also für mich hört sich das so an, als das man das auslegen könnte wie man lustig ist.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Na ja, nun haben wir mal Jurisprudenz gelernt, um diese Auslegung methodisch und inhaltlich ein bisschen zu strukturieren. Das Fach ändert sich, es ändert sich durch den Zustrom englischsprachiger Literatur, Denkweise und Textproduktion. Also ich sage respektlos: Der Gesetzgeber wird geschwätzig. Und verwendet eine Swada, deren Auswirkungen er selber nicht übersieht.
Milena Preradovic: Na ja, aber wir wissen doch eigentlich, dass Gesetze klar formuliert sein müssen und so schwammige Formulierungen. Das kann doch einer EU Kommission nicht aus Blödheit passieren, oder aus fachlichen Mängeln eigentlich, oder? Also worauf ich hinaus will, dass das möglicherweise Absicht sein könnte.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Na ja, die Unklarheit oder Auslegungsbedürftigkeit, sagen wir fachintern, begleitet das staatliche Rechtswesen, seitdem es Gesetze gibt. Wohlgemerkt ursprünglich gab es die mal nicht. Da gab es eben Richter, die machten einen Spruch. Und das es war dann. Das war im Übrigen auch die römische Praxis. Und später bürgerte sich dann ein, „na ja, wenn’s ganz schwierig wird, dann schicken wir die Akten an die Rechtsfakultät und dann mag die das in drei Jahren überlegen, was dabei rauskommt“. Die Sache mit den Gesetzen war eine demokratische Idee zur Orientierung der Justiz sicherlich so, wie Sie sagen, aber natürlich auch der Betroffenen selbst. Diese Funktion geht verloren. Vielleicht war sie auch in wirklicher, nachprüfbarer Form gar nicht jemals vorhanden. Jedenfalls wird es was anderes. Also dass die Abstufung muss man grundsätzlich sagen zwischen Fachgesetzen, Bürgerliches Gesetz, Urheberrechtsgesetz, Strafgesetzbuch und Grundrechten muss man erst mal lernen. Da kann man nicht einfach sagen, da gibt es ein Abwägungsverhältnis und hier ist dieses und da ist jenes und dann gucken wir mal, wie wir das so miteinander in Einklang bringen. Und das geht alles ganz ausgezeichnet, wenn man das Ergebnis vorher schon kennt. Und man kann den Verdacht haben, den habe ich inzwischen auch, den Sie geäußert haben: Die Präambel, die Texte vor diesen eigentlichen Artikeln sind so lang, damit man da etwas hineinpacken kann, was ich im Zweifelsfall, den man noch nicht kennt, als nützlich erweist. Und am Ende, das haben die die Kritiker dieser EU Gesetzgebung allerdings von Anfang an gesagt und nur wenige haben es verstanden, es ist ein Weg in die postmoderne staatliche Zensur. Und der wird von der Europäischen Kommission konsequent beschritten.
Milena Preradovic: Ja, und da steht ja auch noch in diesem Gesetz, in diesem DSA drin, dass in einer Krise also, die die EU Kommission mit den Mitgliedsländern ausrufen kann Krieg, Klima, Virus plötzlich die Kommission selbst eingreifen kann. Dann sind nicht mehr die Faktenchecker oder eventuell die NGOs die, die entscheiden, was die Wahrheit ist, was ja schon schlimm genug ist, sondern die EU Kommission. Also eine nicht demokratisch gewählte Institution entscheidet dann über Wahrheit oder Nichtwahrheit. Und damit wird ja auch die Exekutive gleichzeitig zur Judikative. Und was bedeutet das denn für die Rechtsstaatlichkeit am Ende und die Gewaltenteilung?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Naja, ich kann es mir noch nicht wirklich so vorstellen, dass die EU Kommission Einzelfälle in irgendeiner Form beurteilt.
Milena Preradovic: Im Krisenfall, also wirklich, wenn der Notstand ausgerufen wird.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja. Also der der Ausgangspunkt übrigens der staatlichen Gesetze lag darin, dass der preußische König keine Lust hatte, durchs Land zu reisen und im Einzelnen zu sagen, was da richtig ist. Und man erinnert sich, es gab einen Fall, der bis heute diskutiert wird, das wunderbare Eingreifen Friedrichs zugunsten des Müllers Arnold. Und da sagte die Rechtswissenschaft schon immer…
Milena Preradovic: Was war denn das? Jetzt müssen Sie uns auch in kurzen Sätzen sagen, worum es da geht. Das kann keiner von uns.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja, na, vielleicht doch. Die Mühle war gepachtet, und der Pachtzins konnte nicht mehr bezahlt werden, weil der Müller kein Wasser hatte. Und die Ziviljustiz hat damals gesagt: „Ja, die Bedingungen haben sich verändert“. Ich studiere das jetzt nicht im Einzelfall, aber jedenfalls den Pachtzins, den muss er zahlen. Und damals hat der preußische König, obwohl es ja schon eine eingerichtete Gerichtsbarkeit gab, eingegriffen und gesagt: „Nein. Anstelle des Müllers werden die Richter verhaftet und“, das sagen heute manche wieder, „Handschellen sollen klicken.“ Die wurden eingekerkert. Die Richter des Kammergerichts. Das ist ein spektakulärer Vorfall, wo man sagen kann, die Exekutive war wirklich der Bestimmungsgrund für alles, was die Rechtsprechung macht. Die Richter hießen auch richterliche Beamte. Dieser Prozess, dass die Richter und die Gerichte unabhängig sind, ist, ich nenne das eine rechtsphilosophische Idee.
Milena Preradovic: Das hat niemals stattgefunden.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ich halte keine Vorlesung.
Milena Preradovic: Sagen Sie nur ja oder nein.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Die Eingriffe gab es immer. Die Unabhängigkeit, muss man im praktischen Alltagsleben sagen, ergab sich daraus, dass die Fälle so kleinteilig, so vielfältig, so massenhaft auftreten, dass da kein König, keine Verwaltung im Einzelnen hineinregieren kann. Das dauert einfach zu lange. Wobei es bei Gericht auch schon lange genug dauert. Aber das wollte man nicht. Und dann gab es die rechtsstaatliche Idee, das soll auch nicht so sein. Es gibt eine Textbindung und eine Gewissensbindung der Richter. Das ist etabliert. Eine Idee des 19. Jahrhunderts. Und man muss, wenn man die letzten zehn Jahre Revue passieren lässt, wohl sagen, die findet gar nicht mehr überall Widerhall. Es beklagen sich Funktionäre über die Richterlein, die unbotmäßig entscheiden. Die Dinge zum Spruch bringen, zu einem Ergebnis bringen, die man sich anders vorgestellt hatte. Das allerdings war in der Entwicklung in der Rechts- und Verfassungsentwicklung des 19. und 20. Jahrhunderts der tragende Grund und der in den Sonntagsreden wird er bis heute beschworen.
Milena Preradovic: Aber Sie sprachen von Textbindung. Wenn jetzt der Text aber so schwammig und unklar formuliert ist, dann kriegt ein Richter ja ein Problem. Nun kann man davon ausgehen, dass solche Entscheidungen, die dann diese Wahrheitsfinder, diese Hinweisgeber zum Beispiel in den sozialen Netzwerken gehen, darauf wird vielleicht irgendetwas gelöscht, dann kann man davon ausgehen, dass solche Löschungen vor Gericht landen. Und dann steht der Richter vor diesem seltsamen Artikel. Was macht der dann? Welche Probleme hat der? Was tut er?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Er müsste sich mit den Inhalten beschäftigen.
Milena Preradovic: Er müsste die Präambel lesen und wissen, worauf es hinausläuft und dann dementsprechend entscheiden. Und das ist ja eigentlich nicht der Sinn eines Gesetzes.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Na ja, also Äußerungsrecht, Presserecht wie Beleidigungsstrafrecht und Staatsschutzdelikte, ich weiß nicht, ob wir darauf zu sprechen kommen wollen, haben eine eigene Methode und ein eigenes Umfeld. Da kann man in keinem Fall erwarten, dass in diesem Sinne im Gesetz steht, was man nicht sagen darf. Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 sagte schlicht: „Die Beleidigung wird bestraft“, da steht gar nicht, was das ist. Und man kann jetzt sagen, die Leute in den 1870 er Jahren wussten sehr genau, was das ist.
Milena Preradovic: Aber es geht ja nicht nur um Beleidigung, es geht ja um Desinformation. Das ist ja für mich eigentlich der noch interessantere Teil. Und Desinformation heißt in diesem DSA, wenn eine Information falsch oder irreführend ist. Nun ist irreführend, aber nicht falsch. Und sagen wir mal nach Paragraph fünf des Grundgesetzes darf ja jede Meinung erst mal geäußert werden. Aber selbst wenn sie falsch ist, darf sie geäußert werden. Aber das trifft dann ja hier nicht mehr zu. Ich meine, das ist total schwammig. Also Desinformation war früher, weiß ich nicht…
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Kann ich Ihnen helfen, üble Nachrede, falsche Tatsachenbehauptung. Wobei dafür eine Beweisaufnahme notwendig wäre. Was sich da verändert, ist der Stil der Rechtsanwendung. Und das ist das Bedrückende, wenn man die gerichtliche Umgebung ansieht. Es finden ja gar keine Beweisaufnahme statt. So ein Begriff wie Desinformation wird jedenfalls teilweise bereitwillig aufgenommen. Es gibt Ausnahmen. Es gibt Beweisaufnahmen. Es gibt auch die Zurückweisung und die Berufung auf Artikel fünf Grundgesetz Meinungsfreiheit. Das heißt, das ist Ihr Ausgangspunkt, Sie sagen schwammig, man könnte juristisch sagen, das sind Abwägungsergebnisse.
Milena Preradovic: Sie finden diese Formulierungen im DSA vollkommen okay?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Nein, natürlich nicht. Ich sage ja die ganze Zeit die Rechtskultur verändert sich. Das ist kein Gesetz in einem Sinne, wie wir bisher Vorlagen für Gerichte hatten, ist auch gar nicht so gedacht. Also man muss das erst mal in ein gerichtliches Verfahren überführen. Eigentlich ist das Verfahren nach dem DSA ein in sich Geschäft zwischen Konzernen, Anzeigeerstattern, Kommissionen oder überhaupt Netzwerken, die das vielleicht auch automatisiert prüfen und Ergebnissen. Nach Gerichten ist da gar nicht gefragt. Nun kann man sagen, die können auch nicht ausgeschaltet werden, weil das zur Rechtsmaterie gehört.
Milena Preradovic: Ja klar, wenn ich gelöscht werde, muss ich dann vor Gericht ziehen, wenn ich das nicht möchte.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ich habe einige dieser Verfahren begleitet in den letzten Jahren und kann berichten daraus. Ich habe nicht erlebt, dass ich ein ordentliches Gericht mit Inhalten überhaupt hat beschäftigen müssen, weil Konzerne im Falle der Beanstandung, der Löschung, für ihre Inhalt Beanstandung gar keine Begründung liefern. Die können das gar nicht. Das ist nämlich auch ganz schwierig zu sagen, was ist denn eigentlich eine Desinformation.
Milena Preradovic: Müssen die denn nach dem neuen DSA eine Begründung liefern?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Das ergibt sich aus den Grundsätzen der Zivilprozessordnung. Das muss man, das muss man in jedem Fall, indem man in die Rechte anderer eingreift. So weit sind wir noch nicht, dass man sagen kann „Ich weiß nicht“. Ich bin der Veränderung der Rechtskultur gewärtig und rechne mit allem. Aber derzeit gelten immer noch die Grundsätze des Zivilprozesses. Und es müssten eigentlich auch gelten die Grundsätze des Strafprozesses, wo in allererster Linie, und zwar von Amts wegen Tatsachengrundlagen zu ermitteln sind, also zum Beispiel, ob ein Impfstoff überhaupt einer ist und zu einem Ergebnis führt, von dem der Produzent sagt: „Dieses Ergebnis müsste bei der Anwendung rauskommen“.
Milena Preradovic: Aber das machen die Gerichte ja nicht. Also die folgen denen auch Notstandsgesetzen und verurteilen dann die Leute danach. Also jetzt zum Beispiel auch im Fall des Arztes Dr. Habich, der nicht impfen wollte, der 16 Monate ungefähr in Untersuchungshaft saß, der jetzt erst mal auf freien Fuß kommt. Allerdings ist das gerichtlich noch nicht abgeschlossen. Also dort hätte man ihrer Ansicht nach gleich, weil er hat sich ja darauf berufen, dass diese Impfung, diese sogenannte Impfung nicht sicher ist. Hätte man das vom Gericht, vom Gericht her untersuchen müssen?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja, die Sache ist strafrechtlich ein bisschen delikater, differenzierter. Die Strafverfolgung gründet sich da auf die inhaltliche Unrichtigkeit einer ärztlichen Urkunde.
Milena Preradovic: Dass er falsche Impfausweise ausgestellt hat?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja. Er hat gewissermaßen, oder man liest aus diesen Dokumenten, ch habe die Akten nicht eingesehen, ich kann das nur rekonstruieren aus dem, was berichtet wird, ist werden da Impfpässe ausgestellt und dann steht dann irgendwie ein Stempel und Unterschrift und man entnimmt daraus: Dieser Vorgang hat stattgefunden. Die strafrechtliche Diskussion, ob das denn eine Urkunde überhaupt ist, die habe ich mal im Hintergrund geführt. Aber öffentlich wird das bisher nicht diskutiert. Ich bin ein bisschen differenziert in dieser Sache und habe schon geäußert, es dürfte sich, wie man so sagt, materiell um eine strafbare Handlung handeln.
Milena Preradovic: Aber eine strafbare Handlung, die zwei Jahre Urteil von zwei Jahren rechtfertigt?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Das ist der Skandal an der Sache. Also die Gerichte haben Strafzumessung, Einschätzung der Schwere einer Tat als ihre ureigenste Aufgabe nicht mehr im Griff. Und das ist nicht nur eine persönliche Vorliebe, die da einzelne Richterinnen vielleicht haben, sondern das muss man im Kontext einer staatlichen Kampagne der letzten drei Jahre sicherlich sehen, die die Richter erfasst, die die Prozeßführung bestimmt und die zu absurden Einschätzungen des Schweregrads von Delikten führt. Also selbst wenn man sagt, etwas ist strafbar und viel ist strafbar, wenn wir uns hier auf Alltagsereignisse mal einlassen würden, dann muss man sagen: „na ja, und welche Bedeutung hat das eigentlich?“ Welche Bedeutung hat das, wenn es um eigentlich materiell verfassungswidrige Zugangsregelung für Gaststätten zur Berufsausübung, zum Besuch von Behörden geht, was nicht überprüft worden ist. Da sagt das Strafgericht: „Na ja, das geht uns nichts an, da hätten eben die Einzelnen Verfahren führen müssen gegen Gaststättenbetreiber, Behörden und Arbeitgeber und Ähnliches.“ Diese Freiheitsstrafe, die Sie erwähnen und die in der Diskussion bleibt, also ein merkwürdiges Verfahren ist bei Habbich sowieso zu beobachten, man trennt ab und verurteilt zwei Teile. Das habe ich noch nicht erlebt in Strafsachen. Kommentiert haben wir bisher ein Urteil aus, ich glaube Ende Juni, angeklagt waren 650 Fälle etwa. Verurteilt wurden zunächst nur etwa 220. Der Rest blieb übrig. Und man fragt sich: „Was macht man mit dem Rest?“ Dafür gibt es eine prozessuale Regelung. Man stellt ihn ein, weil er unwesentlich geworden ist. Offenbar war die Strafkammer mental nicht in der Lage, diesen Weg zu gehen, sondern meinte, das auch noch verurteilen zu müssen. Wie sich das prozessual darstellt, das muss man mal genau prüfen. Also es bleibt die Schwierigkeit, das ist vermutlich strafbar, aber nicht in der Art und Weise, in der es da verhandelt wird. Die Art und Weise macht den Skandal aus.
Milena Preradovic: Jetzt kommen wir noch mal zu einem anderen Urteil, das mich sehr besorgt gemacht hat. Das ist schon vom Januar und geht um das Kriegsthema. Da wurde ein Friedensaktivist in Berlin verurteilt, weil er in einer Rede gesagt hat, man müsse offen und ehrlich versuchen, die russischen Gründe für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu verstehen. Das Gericht hat ihn dann zu einer vierstelligen Geldstrafe oder 40 Tage Haft verurteilt, „weil diese Aussage billige den völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine und hätte das Potenzial, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern und das psychische Klima in der Bevölkerung aufzuhetzen.“ Können Sie das als Richter nachvollziehen?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Nein. Damit sind wir am Ende. Also eins darf ich, ich habe das auch nur aus der Presse und Berichterstattung verfolgt noch anmerken, man muss das Verfahren immer dazu nehmen. So wie ich es verstehe, handelt es sich um einen Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin, der ergangen ist mit diesem Inhalt. An diesem Strafbefehl müsste sich eine Hauptverhandlung, also, wenn man Einspruch einlegt, eine Hauptverhandlung anschließen.
Milena Preradovic: Aber es geht mir um die Begründung.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja gut, man nimmt es einfach mal so es gibt ja einen Richter mit zwei Staatsexamina, der das unterschrieben hat und der auch den Strafbefehl nur erlassen kann, wenn er die Begründung für richtig hält. Muss man sich also mit befassen und insofern kann man sagen, das ist ein Dokument der Zeitgeschichte, das bedenklich ist.
Milena Preradovic: Ich habe mich gefragt Ist das ein politisches Urteil?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja, sicher. 140 Strafgesetzbuch, darum geht es, ist ein politischer Tatbestand schlechthin. Er ist mal gemacht worden.
Milena Preradovic: Was ist denn 140? Entschuldigung.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: 140 Strafgesetzbuch heißt in Kurzform: Billigung von Straftaten. Es gibt jetzt im Übrigen, da wird es ganz schwierig, dann eine ganz neu eingefügte Vorschrift in Paragraph 130 Strafgesetzbuch „Billigung des Angriffskrieges“ 130 Absatz fünf, auf den man das Ganze möglicherweise auch stützen könnte, der aber noch schwieriger anzuwenden ist und dessen Voraussetzungen noch weniger bedacht worden sind, weil der Bundestag, der das gerade beschlossen hat, dieser neu gewählte Bundestag ist, überhaupt nicht in vernünftiger Weise beraten und zur Kenntnis genommen hat. Aber 140 ist alt…
Milena Preradovic: Aber nochmal ganz kurz: Das heißt, man darf im Grunde gar nichts sagen? Man darf jetzt nicht auf eine Vorgeschichte dieses Krieges hinweisen, die vielleicht zu diesem Krieg geführt hat? Das kann einen schon den Kopf kosten vor Gericht?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Also, wenn Sie den Gesetzes-Wortlaut lesen, dann lesen Sie das da nicht heraus. Da steht, dass eine der im Völkerstrafgesetzbuch verurteilten Handlungen gebilligt würde. Die Führung eines Angriffskrieges gehört dazu. Gleichzeitig muss man wissen, dass das Völkerstrafgesetzbuch und der Angriffskrieg, der da gemeint ist und wäre, in irgendeiner Form festgestellt werden muss. Also beispielsweise von einem internationalen Gerichtshof. Der Internationale Strafgerichtshof könnte so etwas feststellen. Hat er bisher nicht. Es gibt keine Rechtsprechung zur Ukraine.
Milena Preradovic: In dieser Zeit werden wir einfach quasi das öffentliche Narrativ schon zu einem Urteil gemacht, nachdem dann im Grunde verhandelt und beschlossen wird. Ich meine, Volksverhetzung ist ja auch so ein seltsamer Paragraph, der jetzt häufig gezogen wird. Wie sehen Sie den?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja Volksverhetzung hat ein ganz zweifelhaften Inhalt und eine zweifelhafte Geschichte. Manche wissen es, andere haben es vergessen. Das ist eine Strafvorschrift, die sich gegen die Sozialdemokratie in den 1870´er Jahren richtete und Anreizung zum Klassenhass hieß. Ein Bismarckscher Kampftatbestand gegen die Linke. Und mit dieser Vehemenz wurde er auch jahrzehntelang bekämpft. Er wurde aber nicht abgeschafft. Die Regierungen ändern sich. Und sie füllen zweifelhafte Tatbestände einfach mit anderen Inhalten. Das gilt für 130 bis zur Nachkriegsgeschichte. Der spielte eigentlich erst mal gar keine Rolle. Und hatte im Grunde bis in die 80er Jahre, den Inhalt vielleicht für die erste juristische Staatsprüfung. Für Spezialisten im Strafrecht. Ein Stoff abzugeben. Er wird jetzt politisch aufgeladen und mit Inhalten gefüllt, die, wie Sie sagen und ich kann das auch nur aus der journalistischen Berichterstattung entnehmen, überhand nehmen. Die wissen alle schon vorher, was man da nicht sagen darf und was. Da gibt es eine Gefährdungswirkung, abstrakt konkret. Aber das ist eine Strafrechtsvorlesung, um zu sagen, was eine abstrakt konkrete Gefährdungswirkung ist. Die Gerichte kümmern sich darum gar nicht, die machen auch keine Auswirkungen, die sagen: „alles ist gefährlich“. Also wenn man etwas über den Judenstern, über den Holocaust, über NS Ereignisse und möglicherweise, das ist noch die Frage, gibt es hier eigentlich eine Bevölkerungsgruppe von Ukrainern, die man verletzen kann, indem man sagt: „Ja, der Angriffskrieg könnte sich gegen nationalistische, faschistische Tendenzen in der Ukraine richten.“ Ich beneide keinen Strafrichter, der das machen müsste. Und diejenigen, die es derzeit machen, setzen sich über die Schwierigkeiten hinweg. Also das, was Sie zitiert haben und was man nachlesen kann, das ist eine Frühstücksarbeit. Man kann eine Unterschrift unter solche Texte setzen, sollte es lieber nicht machen. Da muss man allerdings eine lange Begründung schreiben.
Milena Preradovic: Sie und der Verband Krista haben sich ja auch ordentlich beschwert, auch in der Corona Zeit über die mangelnde Rechtsstaatlichkeit und was da passiert ist. Was mich so erschüttert ist, dass das überhaupt nicht juristisch aufgearbeitet wird. Und was kann denn das für Folgen haben, weil das war ja eine ziemlich totalitäre Zeit und keine demokratische. Und es ist ja auch nicht klar im Nachhinein, wie rechtlich sicher und gut das war. Und es wird nicht aufgearbeitet. Das ist doch eine Blaupause für die Zukunft. Oder sehen Sie das anders?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Nein. Aber es sind zwei Inhalte in einem. Das, was geschehen ist, wie Sie sagen, aufgearbeitet werden müsste, setzt eine öffentliche Klärung voraus. Krista ist der einzige Richterverband, der Tagungen veranstaltet, und zwar jetzt, zum Zweiten Mal im Oktober mit Juristen, aber nicht nur mit Juristen, sondern auch mit Sozialwissenschaftlern, Politologen, Psychologen, die Auskunft geben über das, was sich in praktischen Gerichtsverfahren hätte ereignen müssen und nicht ereignet hat. Es fehlt an Wissen, es fehlt an Behandlung. Wir haben es in der Eingangsvorstellung erwähnt. Ich mache auch Veranstaltungen der Juristenausbildung und denke, dass Aufarbeitung, Wissenserwerb und auch Einstellungen voraussetzt, andere Meinungen anzuhören, auf ihre Inhalte zu prüfen und mit jemandem ins Gespräch zu kommen. Das ist ja die Schwierigkeit derzeit, die man auch beim Umgang, den Krista, seitdem es den Verband gibt, erfahren hat. Es gibt keine inhaltliche Auseinandersetzung. Man geht zur gegenwärtigen Praxis der Etikettierung über und sagt…
Milena Preradovic: Ach, rechts, rechts, Nazi..
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja, ja, die sind ja alle…Also ich habe keinerlei Affinität dazu. Aber ich sehe, was alles vorsätzlich und fahrlässig in den letzten drei Jahren falsch erledigt worden ist.
Milena Preradovic: Ja, aber wenn das nicht aufgearbeitet wird, kann sich das doch jederzeit wiederholen.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Das tut es ja. Also, wir sehen eine Klimagesetzgebung. Ein Eingriffsvolumen in Alltagsaktivitäten, das vor zehn Jahren, vor 20 Jahren überhaupt nicht vorstellbar war. Die Prüfungsmaßstäbe sind verloren gegangen und jeder sagt sich: „Na, wenn das Ziel groß ist, also bei Corona haben wir gelernt das Leben ist unantastbar. Und wenn jemand sagt „Lebensschutz“, dann müssen alle anderen schweigen“. Und infolgedessen brauchte man in den Expertenkommissionen ja auch keine Juristen. Die waren nur zum Abnicken der Ergebnisse notwendig. Aufarbeitung, Ja Aufarbeitung, ich wiederhole noch mal Wissen, Einstellungen, Diskursbereitschaft und Fähigkeit, daran fehlt es. Ich bin alt genug. Ich muss gestehen, es wundert mich nicht. Ich war in den 60er Jahren jung, habe, da ging ich zur Schule, den Auschwitzprozeß erlebt und gehört damals: „Ach, das ist jetzt schon so lange her. Und das ist abgeschlossen. Davon wollen wir nichts mehr hören. Das führt auch zu gar nichts. Wir wollen jetzt was Neues machen.“ Aufarbeitung hat da nicht stattgefunden. Und das führte ja dann auch zu den entsprechenden Nachwehen. Aufarbeitung der DDR Vergangenheit wäre noch ein eigenes Thema. Manche denken ja, dass die paar Gerichtsurteile, die da ergangen wären, Aufarbeitung bewirkt hätten. Das ist nicht der Fall.
Milena Preradovic: Aufarbeitung bedeutet auch immer gesellschaftliche Aufarbeitung und sich mit allen Standpunkten, was Sie vorhin schon gesagt haben, mit allen Standpunkten zu beschäftigen und nicht einen Standpunkt als richtig festzulegen. Und ich glaube, das ist auch ein großes Problem in unserer Zeit.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja, Aufarbeitung hat etwas mit Lebenspraxis, mit Hintergrund zu tun, also Diskurs. Wenn man den Begriff ernst nimmt, der lässt sich nicht reduzieren auf das, was Juristen tatbestandlich machen. Und Aufarbeitung in diesem Sinne ist ein ganz großes Wort. Bei dem ich realistisch sagen muss: „Nein, das findet nicht statt.“ Und wird wohl in dieser Generation, die ich noch erlebe, auch nicht stattfinden. Wir sind dazu nicht in der Lage.
Milena Preradovic: Ich möchte noch auf ein anderes verwandtes Thema kommen. Was das, was Sie auch sagen, ist, dass Gesetze auf Zuruf inzwischen auch die Rechtsstaatlichkeit bedrohen. Können Sie sagen, was das ist und wann das angefangen hat?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Das ist ein salopper Ausdruck, den ich persönlich mal verwende. Man muss anknüpfen an Ihre Eingangsbemerkung Gewaltenteilung, Exekutive, Judikative. Darüber haben wir vorhin gesprochen. Ja, was macht denn eigentlich die Legislative? Was könnte sie machen? Sie müsste kontrovers im Bundestag Gesetze beraten und an sich zu einem Regierungsvorschlai, Ich nehme das mal jetzt juristisch verfahrensmäßig Gegner bestellen, die diese Vorschläge angreifen. Wir haben gedacht, eine Opposition wäre dazu in der Lage. Wir erleben jetzt, dass die Mehrheitsopposition des Bundestages dazu nicht in der Lage ist. Leider. Und dass man die Minderheitsopposition nicht anhört. Ganz schlichte Praxis. Auch da wieder verbunden mit allerlei Etikettierungen.
Milena Preradovic: Nur werden Gesetze einfach mal so in den Raum geschmissen und dann verabschiedet. Wann fing das an?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Indem die Gesetze immer länger wurden. Es gibt noch einen zweiten Aspekt. Das ist sozusagen die Machart. Gesetzesvorlagen, die 250 Seiten oder 300 umfassen, kann kein Abgeordneter mehr lesen. Auch 50 Seiten sind einfach zu viel. Man muss sehen, was da kursiert im Plenum und was einzelne, die bekommen das ja gar nicht mehr auf den Tisch. Und die Assistenten helfen da am Ende auch nicht. Also mit anderen Worten einzelne Abgeordnete sind überfordert. Es gibt die Ausschüsse, da müsste das beraten werden. Und früher, als ich jung war, sagte man: „Jaja, da sind Hinterzimmer beratungen und da setzt sich schon das Vernünftige durch.“ Dass diese Hoffnung muss man wohl aufgeben. Das ist eine neue Erfahrung. Die Erfahrung der letzten Kanzlerschaften. Auf Zuruf, also das erste Gesetz auf Zuruf, wurde 2008 zur sogenannten Bankenrettung an einem Tag verabschiedet. In drei Lesungen. Ist aber niemandem aufgefallen, weil das Ziel war da ganz richtig, unsere Spareinlagen usw sollen erhalten bleiben. Dann gab es den nächsten Eingriff, der schon das Parlament nur noch später erreicht hat, die bereits genehmigten Kernkraftwerke werden sofort abgeschaltet.
Milena Preradovic: Kanzlerin Merkel.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes. Mit der treffenden Überschrift: „Kanzlerin schaltet Recht ab“. Und die Prozesse wurden ja auch verloren von den Ländern, soweit sie geführt werden mussten gegen die Unternehmen. Trotzdem gab es keinen parlamentarischen Widerstand, da wurde nichts gemacht. Die nächste durchgreifende Änderung, dann ist ja alles schon rechts, wenn man das überhaupt erwähnt, das ist der Flüchtlingszustrom, die Migration 2015. Und da hat man auch zunächst den Eindruck gehabt, „wir können doch die Leute nicht auf dem Bahnhof in Budapest da sitzen lassen, das geht doch nicht.“ Das war doch eine vernünftige Sache, dass sie gesagt hat: „Na ja, die holen wir mal nach Deutschland. Wird schon irgendwie gehen.“ Und ja, das ist ein eigenes Thema. Also Gesetze auf Zuruf im Serienverfahren sind mit Ausrufung der Coronakrise ergangen.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Und zwar als erstes am 25. März 2020. Etablierung einer epidemischen Notlage nationaler Tragweite. Den Begriff kannte man vorher gar nicht. Vollständige Änderung des Infektionsschutzgesetzes kam etwas später. Im Übrigen, nachdem dann ein paar Juristen auch im Bundestag gesagt haben: „Es geht doch alles so nicht, was ihr da macht, ist doch gar nicht gedeckt vom Infektionsschutzgesetz. Müsst ihr doch ändern.“ Da haben wir das geändert im November 2020. Diskussion fand zwar statt, aber es geht ja um Lebensschutz, kann man ja nichts gegen sagen. Ein Jahr später kommen diese fatalen und wirkungslosen, nutzlosen G-Regelungen. Diskussion keine. Jedenfalls keine relevante, auch nicht von der Partei, die man früher als Bürgerrechtspartei eingestuft hat und von der man gesagt hätte: „einrichtungsbezogene Impfpflicht? Habt ihr euch mal überlegt, was das eigentlich heißt? Dass das ein Berufsverbot faktisch ist und für den sogenannten Infektionsschutz gar nichts bewirkt?“ Ja, es findet keine parlamentarische Beratung statt. Die Sachen werden durchgewunken, könnte man sagen. Und der erwähnte 130 Absatz fünf Billigung des Angriffskrieges ist ein letzter Punkt dafür. Der wurde nämlich überhaupt gar nicht beraten, sondern wir haben das dann über Journalisten erfahren, die sich das mal angeguckt haben. Im Omnibusverfahren, also in Verbindung mit einem anderen Gesetz, wird dieses noch, weil es angeblich einer EU Regelung entspricht und wie man heute zu sagen pflegt, alternativlos ist, wurde das noch aufgenommen. Alles falsch, alles inhaltlich falsch. Auch der Bezug auf die EU Regelung stimmt nicht. Es gibt zwar eine, aber nicht eine solche, die diese Gesetzesformulierung notwendig gemacht hätte. Da müsste man eigentlich in Rage geraten. Aber der Bundestag? Ja.
Milena Preradovic: Man hat so ein bisschen den Eindruck relativ gleichgeschaltete Parteien, also die meisten. Ein Parlament, das nur noch abnickt und seine Funktion eigentlich nicht erfüllt. Das ist für mich eine ganz deutliche Abkehr von einer Demokratie.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ich verwende das Wort Gleichschaltung nicht, weil es mir nicht gefällt.
Milena Preradovic: Okay.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Aber der Befund ist unangefochten. Und selbst wenn man sagt, das ist richtig, dann muss man. Zur Kenntnis nehmen. Das Parlament redet über wichtige diskursive Inhalte nicht mehr. Und die Justiz ist in der Arbeit zur Tatsachenaufklärung auch schlichtweg überfordert und müsste ja nacharbeiten, müsste Ja sagen und hätte sagen müssen: „Bei den Coronaregelungen fehlt ja die gesetzliche Grundlage“. Inzwischen aber kann man sagen: „Die Kollegen brauchen länger und im Fach braucht man überhaupt länger.“ Inzwischen gibt es schon einige Gerichtsentscheidungen, die sagen: „gesetzliche Grundlage rechtfertigt nicht die Anordnung im Einzelfall“.
Milena Preradovic: Und dann kommt ja auch noch das, was wir am Anfang besprochen haben. Dieser Trend Gesetze halt auch unklarer, schwammiger und wie Sie sagen, in einer bislang nicht gekannten juristischen Sprache zu formulieren. Das höhlt ja auch im Grunde den Rechtsstaat aus, oder?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Ja. Und dem Ergebnis stimme ich zu, wenn sie die Texte lesen, wenn sie die Gesetze lesen, was ja die meisten nicht tun. Haben wir allerdings den Eindruck, dass wir ein gewaltiger Aufwand an juristischem Scharfsinn so lang, so viele Definitionen, so viele Begriffe und ich weiß gar nicht genau, was das bedeutet. Das muss doch ein fachlicher Text sein, der ist doch bestimmt bis in alle Winkel überdacht.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Da ändert sich etwas in der Textform, was auf die Denk- und Verhaltensform zurückwirft, aber nicht diskutiert wird. Da sagt er: „Naja,“ Rechtsgrundlage gibt es ja. Bundestag hat es beschlossen und dann ist es so, wie es ist. Schwierig wird es natürlich, wenn man überhaupt mit Oberzielen allergrösster Art operiert. Also ein solches war sicherlich die Lebensrettung für alle. Und ein noch viel größeres ist ja die Rettung des Planeten. Was soll man da noch sagen?
Milena Preradovic: Höher geht nicht mehr.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Nein. Und du machst Einwendungen wegen deiner Ölheizung oder Gasheizung? Da hört es aber nun wirklich auf.
Milena Preradovic: Genau. Schönes Schlusswort. Vielen Dank, Professor Seibert. Danke für das launige Gespräch und ich glaube, es ist ziemlich wichtig, mal auch auf diese neue Schwammigkeit in Gesetzen einzugehen, weil das habe ich noch nicht so häufig gehört. Ich danke Ihnen, dass Sie da waren.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Danke für die Gelegenheit.
Milena Preradovic: Tja, Leute, je schwammiger und unklarer, desto größer die Gefahr von Missbrauch. Und man muss sich schon fragen, ob das nicht genau so gewollt sein könnte. Ich persönlich bin gespannt, wann der nächste große Notstand ausgerufen wird. Und ich würde mich übrigens freuen, wenn das nur eine Verschwörungstheorie ist. Ich wünsche euch eine gute Zeit. Bis bald.
Interview with Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert (english)
Milena Preradovic: You can recognize a democracy by its rule of law. According to that, the past years were a democratic disaster. Emergency laws, illegal political decision-making bodies, parliaments undermined, fundamental rights abolished. And the worst thing is that there has been no reappraisal of this period, which clearly had more totalitarian than democratic features. Papier, the former head of the Federal Constitutional Court, now says worriedly: „the free constitutional state must not be sacrificed to any goal, no matter how noble.“ But why is the judiciary silent? And where is it leading? My guest also worries, saying laws on demand threaten the rule of law. Just like the trend to formulate important laws in a vague and unclear way. What fatal consequences this can have now in point Preradovic. Hello, Professor Dr. Thomas-Michael Seibert.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Good afternoon. I am pleased to be invited.
Milena Preradovic: With pleasure. Let me introduce you briefly. You studied law and philosophy in Berlin and Mainz, and were a judge from 1982 to 2011, most recently presiding over a criminal and civil division at the Frankfurt am Main Regional Court. In 1998, you were appointed honorary professor at the Department of Law at Goethe University in Frankfurt, where you teach criminal law and legal theory. You are the author of numerous books and also deal with legal language. And you are the press spokesman for the Krista Network of Critical Judges and Prosecutors, which is committed to the Basic Law and a free democratic basic order and has observed the Corona Zeit with great concern from the perspective of the rule of law. Here’s how to get started: The EU Commission recently enacted the Digital Services Act. A law that is supposed to regulate the market on the Internet and social networks, but also, above all, to crack down on disinformation and hate speech. You took a closer look. What did you notice?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Since you went into the legal language, I have to say that if you simply try to read the text, you’ll notice that this is no longer a law and no longer a legal act as we know it and as it was conventionally learned in legal education. So that starts with the fact that half of this Digital Services Act is sort of a preamble, a legal treatise. What’s the purpose and why it’s necessary, what’s going to be accomplished. And then article sequences that I’m not sure are regulations. So one knows less after reading this text than before, what is allowed or not allowed, but learns, there are gatekeepers, there are trusted flaggers. So translated that would mean: in the German authority text it reads funny gatekeeper. There is the Kafka story, before the law there is a gatekeeper. They probably didn’t think of that. But even more interesting are the trusted flaggers, trustworthy whistleblowers. That’s a legal concept that I don’t know and that I claim nobody actually knows. We can be curious to see what will come of it. At the moment, it is impossible to say. It must be feared that so-called fact checkers and pro-government opinion controllers will move into this position.
Milena Preradovic: That would be censorship officially sanctioned by the EU Commission, if you consider that the fact checkers never check the facts of the government or check any facts that correspond to the original, i.e. the official narrative, but always attack the critics. So then we would have officially sanctioned censorship, or am I exaggerating?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: That is the end product of this Services Act. It’s fair to say that the starting point is, of course, different. That has disturbed and strangely touched many of us and also in court in the last decade. I once wrote the Internet sets the incentive to possible offense.
Milena Preradovic: Let’s come back to the Digital Services Act. There, as a reason for deletions and blocking on social networks, it actually says phrases like: „any actual or foreseeable adverse impact on the exercise of fundamental rights“ or „any actual or foreseeable adverse impact on social debate“. Do you understand what exactly is meant there?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: No.
Milena Preradovic: Yes, well, that also sounds extremely vague, so to me it sounds like you can interpret it however you like.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Well, now we have learned jurisprudence in order to structure this interpretation a bit methodically and in terms of content. The subject is changing, it’s changing because of the influx of English language literature, way of thinking and text production. So I say irreverently, legislators are getting chatty. And uses a swada whose effects he himself does not overlook.
Milena Preradovic: Well, but we actually know that laws have to be clearly formulated and such woolly formulations. This can’t happen to an EU Commission out of stupidity, or out of technical deficiencies, can it? So what I’m getting at is that this could possibly be intentional.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Well, the lack of clarity or the need for interpretation, let’s say within the field, has accompanied the state legal system ever since there have been laws. Mind you, originally there was no such thing. There were judges who made a ruling. And that was it. Incidentally, that was also the Roman practice. And later it became common practice to say, „Well, if it’s really difficult, we’ll send the files to the law faculty and then they can think about it in three years and see what comes out of it. The thing with the laws was a democratic idea to orient the judiciary certainly as you say, but of course also the people concerned themselves. That function is being lost. Or maybe it was not ever there in real, verifiable form. In any case, it becomes something else. So that the gradation must be said in principle between specialized laws, civil law, copyright law, criminal code and fundamental rights must first be learned. You can’t just say there’s a balance and here’s this and there’s that, and then we’ll see how we can reconcile them. And that all works very well if you know the result beforehand. And one can have the suspicion, which I also have in the meantime, that you have expressed: The preamble, the texts before these actual articles are so long, so that one can pack something in there, which I in case of doubt, which one does not know yet, proves to be useful. And in the end, as the critics of this EU legislation have said from the beginning and only a few have understood, it is a path to postmodern state censorship. And this is the path that the European Commission is consistently following.
Milena Preradovic: Yes, and there is also in this law, in this DSA, that in a crisis that the EU Commission can declare with the member states, war, climate, virus, suddenly the Commission itself can intervene. Then it is no longer the fact checkers or possibly the NGOs who decide what the truth is, which is bad enough, but the EU Commission. So a non-democratically elected institution will then decide on truth or non-truth. And with that, the executive branch becomes the judiciary at the same time. And what does that mean for the rule of law and the separation of powers?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Well, I can’t really imagine that the EU Commission will judge individual cases in any way.
Milena Preradovic: In case of crisis, really, if a state of emergency is declared.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes. So the the starting point, by the way, of the state laws was that the Prussian king didn’t feel like traveling around the country and saying in detail what’s right there. And you remember, there was a case that is still being discussed today, the wonderful intervention of Frederick in favor of the miller Arnold. And there the jurisprudence has always said….
Milena Preradovic: What was that? Now you also have to tell us in short sentences what that is about. None of us can do that.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes, well, maybe we can. The mill was leased, and the rent could no longer be paid because the miller had no water. And the civil justice system at that time said, „Yes, the conditions have changed.“ I’m not studying this now in the individual case, but in any case the rent, he has to pay it. And at that time, the Prussian king, although there was already an established judiciary, intervened and said, „No. Instead of the miller, the judges are arrested and,“ some people say that again today, „handcuffs should click.“ They were incarcerated. The judges of the Court of Appeal. That’s a spectacular incident where you can say the executive was really the determinant of everything the judiciary does. The judges were also called judicial officers. This process that the judges and the courts are independent is, I call it a legal philosophical idea.
Milena Preradovic: That never took place.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: I am not giving a lecture.
Milena Preradovic: Just say yes or no.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: The interventions always existed. The independence, one has to say in practical everyday life, resulted from the fact that the cases are so small, so diverse, so mass, that no king, no administration can interfere with them in detail. It simply takes too long. And it already takes long enough in court. But they didn’t want that. And then there was the rule-of-law idea that it shouldn’t be that way either. There is a text binding and a conscience binding of the judges. That’s established. It’s a 19th century idea. And if you look back over the last ten years, you have to say that it no longer resonates everywhere. Functionaries complain about the judges who make insubordinate decisions. They decide things and bring them to a conclusion that one had imagined differently. This, however, was the main reason for the development of law and constitution in the 19th and 20th centuries, and it is still invoked in Sunday speeches today.
Milena Preradovic: But you spoke about text binding. But if now the text is formulated so vague and unclear, then a judge gets a problem. Now you can assume that such decisions, which then these truth finders, these whistleblowers for example in the social networks go, on it is deleted perhaps something, then you can assume that such deletions end up in court. And then the judge stands in front of this strange article. What does he do then? What problems does he have? What does he do?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: He would have to deal with the content.
Milena Preradovic: He would have to read the preamble and know what it amounts to and then decide accordingly. And that is not really the purpose of a law.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Well, the law of expression, press law, such as criminal law on insults and state protection offenses, I don’t know if we want to talk about them, have their own method and their own environment. There, you cannot expect in any case that in this sense it is written in the law what you are not allowed to say. The Imperial Penal Code of 1871 simply said, „The insult is punished,“ it doesn’t even say what that is. And you can say now, people in the 1870s knew very well what that is.
Milena Preradovic: But it is not only about insult, it is about disinformation. That’s actually the more interesting part for me. And disinformation in this DSA means when a piece of information is false or misleading. Now is misleading, but not false. And let’s say according to paragraph five of the Basic Law, every opinion may be expressed first. But even if it is wrong, it may be expressed. But that no longer applies here. I mean, that’s totally vague. So disinformation used to be, I don’t know….
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Can I help you, defamation, false statement of fact. Whereby a hearing of evidence would be necessary for that. What is changing there is the style of applying the law. And that is the depressing thing when you look at the judicial environment. There is no taking of evidence at all. In any case, a term like disinformation is readily accepted in some cases. There are exceptions. There are evidentiary hearings. There is also the rebuttal and the invocation of Article Five of the Basic Law Freedom of Expression. That is, that is your starting point, you say spongy, you could say legally, these are balancing results.
Milena Preradovic: You find these formulations in the DSA perfectly okay?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: No, of course not. I say all the time the legal culture is changing. This is not a law in the sense that we have had templates for courts in the past, and it is not intended to be. So you first have to transfer it into a judicial procedure. Actually, the procedure under the DSA is a business in itself between groups, reporting parties, commissions or networks, which perhaps also check and produce results automatically. There is no demand for courts. Now you can say that they can’t be switched off either, because that is part of the legal matter.
Milena Preradovic: Yes, of course, if I am deleted, I have to go to court if I don’t want that.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: I have accompanied some of these proceedings in recent years and can report from them. I have not experienced having to deal with content in a court of law at all, because companies do not provide any justification for their content objections in the event of a complaint or deletion. They can’t do that at all. It is also very difficult to say what is actually disinformation.
Milena Preradovic: Do they have to give reasons under the new DSA?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: That follows from the principles of the Code of Civil Procedure. You have to, you have to in any case, by interfering with the rights of others. We have not yet reached the point where you can say „I don’t know.“ I am aware of the change in the legal culture and I expect everything. But at present, the principles of civil procedure still apply. And the principles of criminal proceedings should also apply, where first and foremost, and ex officio, the facts have to be established, for example, whether a vaccine is a vaccine at all and leads to a result of which the producer says: „This result should come out when it is used“.
Milena Preradovic: But that’s not what the courts do. So they also follow emergency laws and then sentence people according to that. So now, for example, also in the case of the doctor Dr. Habich, who did not want to vaccinate, who was in pre-trial detention for about 16 months, who will now be released. However, this has not yet been concluded by the courts. So there, in their opinion, one should have immediately, because he has invoked that this vaccination, this so-called vaccination is not safe. Should that have been investigated by the court, by the court?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes, the matter is a bit more delicate, more differentiated in terms of criminal law. The criminal prosecution is based on the incorrectness of the content of a medical certificate.
Milena Preradovic: That he issued false vaccination certificates?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes. He has, so to speak, or one reads from these documents, I have not seen the files, I can only reconstruct this from what is reported, is there vaccination cards are issued and then there is somehow a stamp and signature and one takes from it: This process has taken place. The criminal law discussion as to whether this is a document at all is something that I have had in the background. But so far it has not been discussed publicly. I am a little bit differentiated in this matter and have already said that it is probably, as they say, materially a criminal act.
Milena Preradovic: But a criminal act that justifies a sentence of two years?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: That is the scandal of the matter. The courts are no longer in control of the assessment of the severity of a crime as their very own task. And that’s not just a personal preference that individual judges may have, but it certainly has to be seen in the context of a state campaign over the last three years that has taken hold of the judges, that determines the conduct of the proceedings and that leads to absurd assessments of the severity of offenses. So even if you say something is punishable and a lot is punishable, if we were to take a look at everyday events here, you have to say, „well, and what significance does that actually have?“ What significance does that have when it comes to actually materially unconstitutional access regulation for restaurants to practice their profession, to visit authorities, which has not been reviewed. Then the criminal court says, „Well, that’s none of our business, the individuals should have conducted proceedings against restaurant operators, authorities and employers and the like.“ This custodial sentence that you mention and that remains in the discussion, so a strange procedure can be observed with Habbich anyway, one separates and sentences two parts. I have not seen that in criminal cases. Commenting so far we have a verdict from, I think the end of June, indicted were 650 cases or so. Initially, only about 220 were sentenced. The rest remained. And you ask yourself, „What do you do with the rest?“ There’s a procedural rule for that. You discontinue it because it has become immaterial. Apparently, the Trial Chamber was not mentally able to go down that road, but felt it had to condemn that as well. How this is represented procedurally must be examined in detail. So the difficulty remains that this is probably punishable, but not in the way in which it is being tried. It is the manner that makes the scandal.
Milena Preradovic: Now we come to another verdict that made me very worried. It’s already from January and it’s about the war issue. A peace activist in Berlin was sentenced because he said in a speech that one should openly and honestly try to understand the Russian reasons for the special military operation in Ukraine. The court then sentenced him to a four-figure fine or 40 days in jail „because this statement condoned Russia’s invasion of Ukraine in violation of international law and had the potential to shake confidence in the rule of law and incite the psychological climate in the population.“ As a judge, can you relate to that?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: No. That brings us to the end. So one thing I may note, I have also only followed this from the press and reporting, you always have to take the procedure to it. As I understand it, this is a penalty order issued by the Tiergarten District Court in Berlin with this content. This penalty order would have to be followed by a main hearing, i.e., if an appeal is filed, a main hearing.
Milena Preradovic: But I am interested in the reasons.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes, well, you just take it that way, there is a judge with two state examinations who has signed it and who can also only issue the penalty order if he considers the grounds to be correct. So you have to deal with it and in this respect you can say, this is a document of contemporary history, which is questionable.
Milena Preradovic: I was wondering Is this a political judgment?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes, certainly. 140 Criminal Code, that’s what it’s about, is a political offense par excellence. It was made once.
Milena Preradovic: What is 140? Excuse me.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: 140 Criminal Code means in short: Approval of criminal acts. There is now, by the way, where it gets quite difficult, then a quite newly inserted provision in Section 130 of the Criminal Code „Approval of war of aggression“ 130 paragraph five, on which one could possibly also base the whole thing, but which is even more difficult to apply and the preconditions of which have been even less considered, because the Bundestag, which has just passed this, this newly elected Bundestag is, has not at all deliberated and taken note of it in a reasonable way. But 140 is old…
Milena Preradovic: But again, very briefly, that means you’re basically not allowed to say anything? One is not allowed now to point to a previous history of this war, which may have led to this war? That could cost you your head in court?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Well, if you read the wording of the law, you won’t read that out of it. It says that one of the acts condemned in the International Criminal Code would be approved. Waging a war of aggression is one of them. At the same time, you have to know that the International Criminal Code and the war of aggression that is meant there and would be, has to be established in some form. So, for example, by an international court. The International Criminal Court could establish something like that. It has not yet done so. There is no jurisdiction on Ukraine.
Milena Preradovic: At this time, we are simply, so to speak, the public narrative is already made into a judgment, after which it is basically negotiated and decided. I mean, incitement of the people is also such a strange paragraph that is often pulled now. How do you see it?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes, incitement of the people has a very dubious content and a dubious history. Some people know it, others have forgotten it. It is a penal provision that was directed against social democracy in the 1870s and was called incitement to class hatred. It was a Bismarckian crime against the left. And it was fought with this vehemence for decades. But it was not abolished. Governments change. And they simply fill dubious facts with other contents. This was true for 130 until the post-war period. It didn’t really play a role at first. And had basically until the 80s, the content perhaps for the first state law examination. For specialists in criminal law. A material to hand in. It is now being politically charged and filled with content, which, as you say and I can only gather from journalistic reporting, is getting out of hand. They all know in advance what you’re not allowed to say and what you’re not allowed to say. There is a danger effect, abstract concrete. But this is a criminal law lecture to say what an abstract concrete endangering effect is. The courts don’t care about that at all, they don’t do effects, they say, „everything is dangerous.“ So if you say something about the Jewish Star, about the Holocaust, about Nazi events and possibly, that’s still the question, is there actually a population of Ukrainians here that you can hurt by saying, „Yes, the war of aggression could be directed against nationalist, fascist tendencies in Ukraine.“ I don’t envy any criminal judge who would have to do that. And those who are currently doing it are overriding the difficulties. So what you quoted and what can be read, this is a breakfast work. One can put a signature under such texts, should rather not do it. But you have to write a long justification.
Milena Preradovic: You and the association Krista have also complained properly, also in the Corona time about the lack of rule of law and what happened there. What shocks me so much is that this is not being dealt with legally at all. And what consequences can that have, because that was a pretty totalitarian time and not a democratic one. And it is also not clear in retrospect how legally safe and good it was. And it is not being reappraised. That’s a blueprint for the future. Or do you see it differently?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: No. But there are two contents in one. What has happened, as you say, should be worked through, presupposes a public clarification. Krista is the only association of judges that organizes conferences, and now, for the second time in October with lawyers, but not only with lawyers, but also with social scientists, political scientists, psychologists, who provide information about what should have happened and did not happen in practical court proceedings. There is a lack of knowledge, there is a lack of treatment. We mentioned it in the opening presentation. I also do events of legal education and I think that reappraisal, knowledge acquisition and also attitudes presuppose to listen to other opinions, to check their contents and to get into conversation with someone. That is the difficulty at present, which one experienced also with the contact, which Krista, since there is the federation. There is no discussion of content. You go to the current practice of labeling and saying….
Milena Preradovic: Oh, right, right, Nazi….
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes, yes, they are all…Well, I have no affinity to it. But I see what all has been done wrong intentionally and negligently in the last three years.
Milena Preradovic: Yes, but if this is not dealt with, it can happen again at any time.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes, it does. So, we see a climate legislation. A volume of intervention in everyday activities that was not imaginable at all ten years ago, 20 years ago. The standards of scrutiny have been lost and everyone says to themselves, „Well, if the goal is big, so at Corona we learned life is inviolable. And if someone says „protection of life“, then everyone else has to keep quiet“. And as a result, no lawyers were needed in the expert commissions. They were only needed to approve the results. Reappraisal, yes reappraisal, I repeat knowledge, attitudes, readiness for discourse and ability are lacking. I am old enough. I must confess, I am not surprised. I was young in the 1960s, when I was at school, I experienced the Auschwitz trial and heard at the time: „Oh, that was so long ago. And that is finished. We don’t want to hear anything more about it. It won’t lead to anything. We want to do something new now.“ There was no reappraisal. And that led to the corresponding aftermath. Coming to terms with the GDR’s past would be a separate topic. Some people think that the few court rulings that were handed down would have brought about a reappraisal. That is not the case.
Milena Preradovic: Coming to terms with the past always means coming to terms with society and dealing with all points of view, as you said earlier, with all points of view and not defining one point of view as the right one. And I think that is also a big problem in our time.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes, reappraisal has something to do with life practice, with background, that is, discourse. If you take the term seriously, it cannot be reduced to what lawyers actually do. And reappraisal in this sense is a very big word. And I have to say, realistically, „No, that’s not happening.“ And it probably won’t happen in this generation that I’m still living through. We are not in a position to do that.
Milena Preradovic: I want to come to another related topic. What the thing that you also say is that laws on demand are now also threatening the rule of law. Can you say what that is and when that started?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: That’s a casual expression that I personally use sometimes. One has to tie in with your opening remark about separation of powers, executive, judiciary. We talked about that earlier. Yes, what does the legislative branch actually do? What could it do? It would have to discuss controversial laws in the Bundestag and appoint opponents to attack these proposals. We thought that an opposition would be able to do this. We are now seeing that the majority opposition in the Bundestag is not in a position to do so. Unfortunately. And that the minority opposition is not being listened to. Quite simple practice. Again, connected with all kinds of labeling.
Milena Preradovic: It’s just that laws are thrown into the room and then passed. When did that start?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: When the laws became longer and longer. There is a second aspect. That is, so to speak, the way they are made. Bills that are 250 pages or 300 pages long can no longer be read by any member of parliament. Even 50 pages is simply too much. You have to see what’s circulating in the plenum and what individual members don’t even get on the table anymore. And the assistants don’t help in the end either. In other words, individual members of parliament are overwhelmed. There are the committees, where this should be discussed. And in the past, when I was young, people said, „Well, there are backroom consultations, and the sensible thing will prevail.“ I think we have to give up that hope. That’s a new experience. The experience of the last chancellorships. On call, so the first law on call, was passed in 2008 on the so-called bank bailout in one day. In three readings. But no one noticed, because the goal was quite right, our savings deposits, etc. should be preserved. Then there was the next intervention, which has already reached the parliament only later, the already approved nuclear power plants will be shut down immediately.
Milena Preradovic: Chancellor Merkel.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes. With the apt headline: „Chancellor shuts down law“. And the lawsuits were lost by the countries, as far as they had to be conducted against the companies. Nevertheless, there was no parliamentary resistance, nothing was done. The next sweeping change, then everything is already right-wing, if you mention that at all, is the influx of refugees, the migration in 2015. And there you also initially had the impression, „we can’t let people sit there at the train station in Budapest, that’s not possible.“ That was a reasonable thing to say: „Well, we’ll bring them to Germany. It’ll work out somehow.“ And yes, that’s a separate issue. So laws on demand in serial proceedings have been issued with the proclamation of the corona crisis.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: The first one was on March 25, 2020, when an epidemic emergency of national scope was established. The term was not even known before. Complete amendment of the Infection Protection Act came a little later. Incidentally, after a few lawyers in the Bundestag said, „It’s all wrong, what you’re doing is not covered by the Infection Protection Act. You have to change it.“ We changed it in November 2020, and there was a discussion, but it’s about protecting life, so there’s nothing you can say against it. A year later, these fatal and ineffective, useless G-regulations come. There was no discussion. At least not any relevant one, not even from the party that used to be classified as a civil rights party and from which one would have said: „facility-based compulsory vaccination? Have you ever thought about what that actually means? That this is a de facto occupational ban and does nothing at all for the so-called protection against infection?“ Yes, there is no parliamentary consultation. Things are being waved through, you might say. And the mentioned 130 paragraph five approval of the war of aggression is a final point for that. It was not discussed at all, but we found out about it from journalists who took a look at it. In the omnibus procedure, i.e. in connection with another law, this is still included, because it allegedly corresponds to an EU regulation and, as one tends to say today, is without alternative. Everything is wrong, everything is wrong in terms of content. Also the reference to the EU regulation is not correct. There is one, but not one that would have made this wording of the law necessary. There one would have to come actually into rage. But the Bundestag? Yes.
Milena Preradovic: One has so a little bit the impression relatively Gleichgeschaltete parties, so most. A parliament that only nods off and doesn’t really fulfill its function. For me, that is a very clear departure from democracy.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: I don’t use the word Gleichschaltung because I don’t like it.
Milena Preradovic: Okay.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: But the finding is unchallenged. And even if you say that’s right, then you have to. Take note. Parliament is no longer talking about important discursive content. And the judiciary is also simply overtaxed in the work to clarify the facts and would have to rework, would have to say yes and would have had to say: „With the corona regulations, the legal basis is missing“. In the meantime, however, one can say: „The colleagues need longer and in the subject one needs longer at all.“ Meanwhile, there are already some court decisions that say: „legal basis does not justify the order in individual cases“.
Milena Preradovic: And then there is also what we discussed at the beginning. This trend to formulate laws in a more unclear, vague and, as you say, unprecedented legal language. That basically undermines the rule of law, doesn’t it?
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Yes. And I agree with the result, if they read the texts, if they read the laws, which most of them don’t do. However, do we have the impression that we have a tremendous amount of legal acumen so long, so many definitions, so many terms and I don’t even know exactly what that means. Surely this must be a technical text, surely it has been thought through to the last detail.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Something changes in the form of the text, which reflects on the way of thinking and behaving, but is not discussed. There he says: „Well,“ legal basis there is yes. Bundestag has decided it and then it is as it is. It becomes difficult, of course, if one operates at all with overall objectives of the greatest kind. One of these was certainly to save the lives of everyone. And an even greater one is to save the planet. What more can one say?
Milena Preradovic: It doesn’t get any higher than that.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: No. And you object because of your oil heating or gas heating? That’s where it really stops.
Milena Preradovic: Exactly. Nice closing. Thank you very much, Professor Seibert. Thank you for the whimsical conversation, and I think it’s quite important to go into this new sponginess in laws as well, because I haven’t heard that so much. Thank you very much for being here.
Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert: Thank you for the opportunity.
Milena Preradovic: Well, guys, the more vague and unclear, the greater the risk of abuse. And you do have to wonder if that might not be exactly what’s intended. Personally, I’m curious when the next big state of emergency will be declared. And I would be happy, by the way, if this is just a conspiracy theory. I wish you all a good time. See you soon.
Zu den Ungeheuerlichkeiten der letzten Jahre zählt auch die Bundestagssitzung vor der Sommerpause 2020 als die Abgeordneten kurzfristig ein Paket von rund 100 Gesetzesänderungen abnicken sollten (und auch haben) – auch wenn es da vor allem um Details ging, es blieb kaum ein Lebens oder Wirtschaftsbereich unbehelligt und für eine saubere Abwägung hätte man Monate gebraucht, nicht wenige Tage. Man fragt sich mit welcher Legitimation da zugestimmt wurde – wer mit bestem Wissen und Gewissen hochhält kann in solchen Fällen eigentlich nur mit „Abgelehnt“ stimmen.
Eine weitere um sich greifende Entwicklung sind Urteile die sich letztlich nur auf juristische Spitzfindigkeiten beziehen und den eigentlichen Hauptanklagepunkt bestenfalls am Rande streifen. Formal mag das zwar völlig korrekt sein, aber wenn der Gang vors Gericht dadurch zum unkalkulierbaren Glücksspiel wird sind die Auswirkungen auf Rechtssicherheit und das Vertrauen in den Rechtsstaat fatal.
Schön, dass jemand darüber berichtet.
Schade, dass niemand dagegen protestiert!
Ein sehr sympathischer Herr – klug, klar und humorvoll. Danke Ihnen beiden für das tolle Gespräch!